
Eigentlich wollte ich mich diesen Monat in der StoryWerkstatt mit Chrakteren befassen, doch aus aktuellem Anlass brennt mir ein anderes Thema unter den Nägeln: Geschichtsfälschung! In der Literatur gibt es einige Beispiele für Geschichten, in denen die Vergangenheit manipuliert wird, um Macht zu sichern oder die Wahrheit zu verbergen. Dieser Artikel wirft einen Blick auf einige der spannendsten Werke, die sich mit diesem Thema beschäftigen.
Historische Wahrheit per Dekret?
Am 27. März 2025 hat der US-amerikanische Präsident, Donald Trump, eine Verordnung erlassen, die vorgibt „Wahrheit und Vernunft“ in der amerikanischen Geschichte „wiederherzustellen“. Trump behauptet darin, es gebe eine „revisionistische Bewegung“, die die US-amerikanische Geschichte in den letzten zehn Jahren gezielt verzerrt und umgeschrieben habe. Er wirft staatlichen Museen und Gedenkstätten vor, sich absichtlich nur auf die negativen Aspekte der Geschichte – insbesondere auf Rassismus – zu konzentrieren, um so die Gesellschaft zu spalten. Es ist eine klassische Propagandatechnik: Bei der „Anschuldigung im Spiegel“ (Accusation in the Mirror) unterstellen die Propagandist*innen ihren Gegner*innen fälschlicherweise genau das, was sie selbst vorhaben. Und das ist in diesem Fall die ideologisch motivierte Umdeutung und Verfälschung der US-Geschichte.
Die Verordnung zielt darauf ab, eine allgemeingültige heroische Erzählung zu etablieren. Unter anderem soll das Smithsonian Institut mit all seinen Museen inhaltlich neu ausgerichtet werden. Gleichzeitig sollen Konföderierten-Denkmäler wieder aufgestellt werden, die im Zuge der Black-Life-Matters-Proteste gestürzt oder abgebaut wurden. In Zukunft sollen sich zudem alle öffentlichen Denkmäler, Gedenkstätten und Statuen, die dem Innenministerium unterstehen, ausschließlich „auf die Größe der Errungenschaften und des Fortschritts des amerikanischen Volkes“ oder auf „die Schönheit, Fülle und Großartigkeit der amerikanischen Landschaft“ konzentrieren. Ein kritischer Betrachtung der US-amerikanische Geschichte, die auch die dunklen Kapitel beleuchtet, ist nicht länger erwünscht. An ihre Stelle soll eine von der Regierung verordnete Erzählung treten, die die Vereinigten Staaten als fortschrittlich, freiheitsliebend und innerlich geeint präsentiert. Das ist Geschichtsfälschung!
Wahrheit, Wissenschaft und Fälschung
Aber ist nicht jede Aussage über die Vergangenheit relativ? Gibt es überhaupt so etwas wie eine historische Wahrheit? Schließlich ist die Geschichtswissenschaft keine exakte Wissenschaft wie Mathematik oder Physik. Sie untersucht keine festen Naturgesetze, sondern interpretiert vergangene menschliche Ereignisse und Entwicklungen. Quellen sind oft unvollständig, subjektiv oder widersprüchlich, weshalb Historiker*innen unterschiedliche Perspektiven einbeziehen müssen. Reklamiert also nicht jede*r von ihnen am Ende die Wahrheit für sich und bezichtigt alle, die anderer Meinung sind, der Geschichtsfälschung?
Nein, so funktioniert das nicht! Denn die Geschichtswissenschaft arbeitet mit systematischen Methoden: Quellenkritik, Analyse von Zusammenhängen und der Überprüfung von Erzählungen durch neue Erkenntnisse. Sie ist also nicht absolut objektiv, aber durch methodische Standards nachvollziehbar und überprüfbar. Dabei kann es selbstverständlich zu Fehlinterpretationen kommen, zum Beispiel, wenn Quellen unvollständig sind oder methodisch unsauber ausgewertet werden. Auch sind sich Historiker*innen nicht immer einig. Durch verschiedene Perspektiven und Fragestellungen kann es zu unterschiedlichen Interpretationen und Deutungskonflikten kommen. Und jedes Geschichtsbuch stellt immer nur einen Ausschnitt und damit auch eine Verkürzung dar. Doch im Kern geht es der Geschichtswissenschaft um die Suche nach Wahrheit.
Im Gegensatz dazu manipuliert Geschichtsfälschung bewusst Informationen, um ein bestimmtes Narrativ zu stützen. Während Wissenschaft Geschichten (im Plural) zur Diskussion stellt und Fehler korrigiert, blendet Fälschung unbequeme Fakten aus und setzt auf Propaganda statt auf Argumentation. Oft dient sie autoritären Regimen, um Herrschaft zu legitimieren. Auch religiöse Institutionen oder Unternehmen haben in der Vergangenheit Geschichte zu ihrem Vorteil manipuliert. Besonders häufig geschieht dies in Kriegszeiten, bei Regimewechseln oder in ideologischen Auseinandersetzungen. Denn der Kampf um die Deutungshoheit über die Vergangenheit ist immer eng mit der Macht in der Gegenwart verbunden.
Alles nur eine edle Lüge?
Was macht Geschichtsfälschung vor allem für Autokrat*innen so attraktiv? Eine Antwort darauf findet sich bereits in Platons Politeia. Platon, der ja bekanntlich kein Freund der Demokratie war, beschreibt darin eine idealisierte Gesellschaft, in der die Herrschenden absichtlich Mythen verbreiten, um die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten. Besonders hervor hebt er die „edle Lüge“, nach der die Menschen glauben sollen, dass ihre gesellschaftliche Stellung von Geburt an vorherbestimmt sei.
Autokrat*innen nutzen Geschichtsfälschung nach diesem Prinzip: Wer die Vergangenheit kontrolliert, kann das Selbstverständnis der Bürger*innen prägen und Legitimität für die eigene Herrschaft konstruieren. Durch die gezielte Manipulation historischer Ereignisse lassen sich Gegner*innen delegitimieren, nationale Mythen stärken und kritisches Denken unterdrücken. Indem sie die Geschichte zu ihren Gunsten umschreiben, sichern sich Autokrat*innen so Macht und verhindern Widerstand gegen ihr Regime.
Manipulation der Geschichte in dystopischen Romanen
Es ist wenig erstaunlich, dass Geschichtsfälschung vor allem in den dystopischen Romanen aus der Mitte des 20. Jahrhundert eine zentrale Rolle einnimmt. In dieser Zeit wurde Geschichtsfälschung als literarisches Thema besonders relevant, weil politische Regimes Geschichte gezielt zur Legitimation nutzten. Der Faschismus glorifizierte nationale Vergangenheit und erfand heroische Erzählungen, während der Stalinismus Geschichte umschrieb, um politische Gegner aus dem kollektiven Gedächtnis zu tilgen. Gleichzeitig veränderten neue Massenmedien die Art, wie Geschichte kommuniziert wurde, und Propaganda erreichte breitere Bevölkerungsschichten. Autor*innen griffen diese Entwicklungen auf, um die Fragilität historischer Erkenntnisse und die Abhängigkeit von Machtstrukturen zu hinterfragen.
Der Klassiker zum Thema Geschichtsfälschung ist ohne Zweifel George Orwells 1984. In dem Roman kontrolliert die Partei nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit, indem sie alte Zeitungen umschreibt und „unerwünschte“ Informationen vernichtet. Das berühmte Zitat „Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft“ zeigt, wie eng Macht und Geschichtsschreibung miteinander verknüpft sind. Auch in Ray Bradburys Fahrenheit 451 wird Geschichte bewusst gelöscht – hier in Form von Bücherverbrennungen. Ohne schriftliche Aufzeichnungen verliert die Gesellschaft ihr kritisches Denken und bleibt manipulierbar. In Schöne neue Welt von Aldous Huxley haben die Menschen der Zukunft gar keinen Zugang zur Vergangenheit mehr, da sie durch ständige Vergnügungen und Konditionierung abgelenkt werden. Alte Werke wie Shakespeare sind verboten, weil sie kritisches Denken fördern könnten. All diese Dystopien haben eins gemeinsam: Die jeweiligen Machthabenden nutzen Geschichtsfälschung, um die Bevölkerung in Unwissenheit und Abhängigkeit zu halten.
Fantasy und Fälschung
Inspiriert von den klassischen Dystopien, greifen auch moderne Fantasyromane das Thema Geschichtsfälschung immer wieder auf, um Machtstrukturen zu hinterfragen und die Manipulation von Wissen zu thematisieren. In Das Buch der Neuen Sonne von Gene Wolfe lebt die Gesellschaft in den Überresten einer einst hochentwickelten Zivilisation, doch die wahre Geschichte dieser Welt wurde verschleiert. Der Protagonist Severian wird auf seiner Reise mit verborgenen Informationen konfrontiert, die den offiziellen Erzählungen widersprechen. Terry Pratchett thematisiert in Die Stunde der Wahrheit die Konstruktion von Geschichte in gewohnt satirischer Weise. Die Stadt Ankh-Morpork pflegt eine offizielle Version ihrer Vergangenheit, die wenig mit der Realität zu tun hat. Erst als die freie Presse aufkommt, beginnt sich ein wahrheitsgetreueres Bild der Geschichte durchzusetzen. Pratchett zeigt dabei, wie schwer es ist, eine einmal etablierte Lüge zu entlarven. In der erfolgreichen Empyrean-Reihe von Rebecca Yarros ist Geschichtsfälschung ebenfalls ein zentrales Element der Handlung: Die Herrschenden Navarres unterdrücken Wissen über vergangene Kriege, um ihre Macht zu sichern. Die Protagonistin Violet, die eigentlich Schreiberin werden will – eine Art Mischung zwischen Sekretärin, Historikerin und Archivarin –, deckt nach und nach auf, dass vieles, was sie in ihrer Ausbildung gelernt hat, manipuliert oder gar erfunden wurde.
Auch in der Fantasy-Literatur taucht Geschichtsfälschung also mitunter als Mittel der Herrschaftskontrolle auf – sei es durch aktives Vergessen, Lügen oder selektive Überlieferung. Fantasyliteratur kann so auch dazu beitragen, die Geschichtspolitik der Gegenwart kritisch zu hinterfragen. So hat Yarros in einem Interview erklärt, dass sie das Thema Geschichtsfälschung deshalb aufgegriffen habe, weil sie so wütend über die zunehmende Zensur von Büchern an US-amerikanischen Schulen gewesen sei. „Wenn man seine eigene Geschichte nicht kennt, seine genaue Geschichte,“ so die Autorin „hat man keine Ahnung, wie man die Welt um sich herum beeinflusst, geschweige denn seine eigenen Bürger*innen.“ Eine Warnung, die angesichts der aktuellen Präsidialerlasse umso dringlicher und aktueller ist.
Ein altes Motiv mit neuer Brisanz
Die Manipulation von Geschichte ist ein wiederkehrendes Thema in der dystopischen aber auch der Fantasy-Literatur. Ob durch staatliche Propaganda, absichtliche Fälschungen oder subtile kulturelle Verschiebungen – diese hier vorgestellten Werke zeigen, wie leicht Geschichte instrumentalisiert und verzerrt werden kann. Geschichtsfälschung in der Literatur hält uns den Spiegel vor. Sie zeigt, wie wichtig es ist, kritisch zu hinterfragen, wer sich wie und mit welcher Absicht auf die Vergangenheit bezieht. In Zeiten von Fake News, Propaganda und erstarkendem Autoritarismus ist dieses Thema so aktuell wie lange nicht mehr.
Welche Romane oder Geschichten kennt ihr, in denen Geschichte manipuliert wird? Was nehmt ihr aus diesen Texten mit? Oder schreibt ihr möglicherweise gerade selber an einem Text, in dem Geschichtsfälschung eine Rolle spielt? Lasst es mich in den Kommentaren wissen!