Bad Boys in der Fantasyliteratur: Von klassischen Vorbildern zum modernen Love-Interest

Colloriertes Portraitfoto von James Dean

Kaum eine Figur zieht Fantasy-Leser*innen so in ihren Bann wie der Bad Boy, dieser geheimnisvolle, rebellische Typ mit der düsteren Aura, der Regeln bricht und dennoch auf unerklärliche Weise verführerisch bleibt. Aktuell erleben solche Figuren gerade ein echtes Hoch, befeuert den Einfluss von BookTok und Bookstagram, wo charismatische Antihelden regelmäßig viral gehen. Aber woher kommt der Bad Boy eigentlich? Und warum sind gerade diese moralisch grauen Charaktere so unwiderstehlich? Was macht ihren Reiz aus und was ist daran vielleicht auch problematisch?

In diesem Beitrag gehen wir der Frage nach, wie sich das Bild des Bad Boys im Lauf der Zeit verändert hat, vom tragischen Antihelden der Romantik über den coolen Outlaw der Filmgeschichte bis hin zum gefühlvollen Dark Prince der modernen Fantasy. Welche Geschichten erzählen uns diese Figuren heute? Und was sagt ihr anhaltender Erfolg über die Wünsche und Werte eines Publikums aus, das sie feiert und neu erfindet?

Was ist ein guter Bad Boy?

Der klassische Bad Boy ist mehr als nur ein Fiesling. Er ist rebellisch, charismatisch, oft unberechenbar und genau das macht ihn so spannend. Hinter seiner rauen Schale verbirgt sich nicht selten eine verletzliche Seite, die er nur selten zeigt. Wichtig ist: Der Bad Boy ist kein eindimensionaler Bösewicht, sondern eine ambivalente Figur. Er handelt moralisch fragwürdig und trifft zweifelhafte Entscheidungen, doch seine Motive wirken oft nachvollziehbar.

Der Reiz des Bad Boys speist sich auch aus seinem Widerstand gegen gesellschaftliche Konventionen. Er verkörpert das Andere, das Verbotene und gerade dadurch wirkt er attraktiv. In einer Welt, die oft klare Regeln und Rollen vorgibt, steht er für Freiheit, Eigenwillen und emotionale Intensität. In vielen Geschichten dient der Bad Boy zudem als Kontrast zur Hauptfigur, oft einer moralisch integren, idealistischen Heldin. Seine Ambivalenz bringt sie ins Wanken, zwingt sie, ihre eigenen Überzeugungen zu hinterfragen. In diesem Spannungsfeld entstehen nicht nur romantische, sondern auch ethische Konflikte. Die Anziehung liegt also nicht nur im Wunsch, ihn zu retten, sondern auch in der Möglichkeit, sich selbst durch ihn zu verändern.

Ikonische Bad Boys: Satan und Don Juan

Die Figur des Bad Boys ist keine Erfindung von Romantasy-Autor*innen. Schon im 17. Jahrhundert begegnet uns einer der einflussreichsten und zugleich umstrittensten Urväter dieses Typus: Satan in John Miltons Epos Paradise Lost (1667). Obwohl er der Gegenspieler Gottes ist, schildert Milton ihn als charismatische, stolze und rebellische Figur mit großer rhetorischer Kraft. Er ist ein Verführer, der sich gegen die göttliche Ordnung auflehnt und dabei fast tragische Züge annimmt. Die berühmte Zeile „Better to reign in Hell than serve in Heaven“ macht ihn zum Inbegriff des selbstbestimmten Antihelden.

Eine weiterer berühmt-berüchtigter Bad Boy stammt ebenfalls aus dieser Zeit: Don Juan. Die älteste bekannte literarische Verarbeitung der Don Juan-Sage ist das spanische Theaterstück „El burlador de Sevilla y convidado de piedra“ (Der Betrüger von Sevilla und der steinerne Gast) von Tirso de Molina, das vermutlich um 1616 entstanden ist. Molina beschreibt Don Juan als einen jugendlichen Verführer, der skrupellos Frauen betrügt und dabei immer wieder seiner gerechten Strafe entkommt. Diese Urfassung der Don Juan-Sage hat zahlreiche spätere literarische, musikalische und künstlerische Bearbeitungen inspiriert, darunter das Drama Don Juan von Molière (1665) und die berühmte Oper Don Giovanni von Mozart (1787). So wurde Don Juan zu einem der bis heute bekanntesten Bad Boys, ein unwiderstehlicher Verführer, der durch seine rebellische Haltung und seinen unstillbaren Lebenshunger besticht, dabei aber auch die Schattenseiten von Egoismus und moralischer Verantwortungslosigkeit zeigt.

Zwischen Stolz und Tragik: Die Romantisierung des Bad Boys

Fast forward ins frühe 19. Jahrhundert, in die Zeit der Romantik, wo – wie könnte es anders sein – der Bad Boy zu Höchstform aufläuft. In Jane Austens Romanen finden sich gleich mehrere Typen. Da sind einmal die verführerischen Täuscher wie John Willoughby in Verstand und Gefühl (1811) oder George Wickham in Stolz und Vorurteil (1813), die Don Juan in vielen Aspekten ähneln. Sie sind listige und unzuverlässige Männer, deren gefährliches Charisma junge Frauen in Schwierigkeiten bringt. Doch dann gibt es bei Austen auch noch den missverstandenen Bad Boy, der distanziert und stolz daherkommt, hinter dessen Fassade sich aber Loyalität, Verletzlichkeit und innere Konflikte verbergen. Allerdings entwickeln sich diese Charaktere wie Mr. Darcy aus Stolz und Vorurteil oder Captain Wentworth aus Anne Elliot (1818) weiter, reflektieren sich und ihr Verhalten und lassen ihr Bad-Boy-Image im Laufe der Geschichte hinter sich.

Bei den Brontë-Schwestern bleiben die Bad Boys dagegen moralisch grau bis zum bitteren Ende. Heathcliff aus Emily Brontës Sturmhöhe (1847) ist getrieben von Rache, obsessiv in seiner Liebe zu Catherine, unnahbar und verletzlich zugleich. Ähnlich zwiespältig zeigt sich Mr. Rochester in Jane Eyre (1847) von Charlotte Brontë. Er ist autoritär, geheimniskrämerisch, aber letztlich ein gebrochener Mann mit einer dunklen Vergangenheit, der um Erlösung ringt. Trotzdem halten sowohl Catherine als auch Jane an ihrer Liebe zu diesen (selbst-)zerstörerischen Männern fest, auch wenn das ihnen nicht unbedingt guttut. (I hated you, I loved you, too.) Heute würden wir definitiv von toxischen Beziehungen sprechen. Die Romantisierung des Bad Boys hat hier ihren Ursprung und zeigt auch schon ganz deutlich ihre problematische Seite.

Unverstandene Rebellen: Bad Boys in Film und Fernsehen

In den 1930er Jahren eroberten die Bad Boys Hollywood. Schauspieler wie James Cagney und Humphrey Bogart begeisterten als charmante Schurken das Publikum. Doch die Filmstudios legten viel Wert darauf, dass ihre Rebellion nur auf der Kinoleinwand und nicht etwa im Privatleben stattfand. Im Zweifel wurden da auch schonmal unliebsames Verhalten beschönigt oder vertuscht. Dies änderte sich ab den 1950er Jahren mit Stars wie Marlon Brando oder James Dean, die sowohl in der Fiktion als auch im realen Leben immer wieder für Aufsehen und Aufregung sorgen. Hollywood-Bad Boys wie sie prägten das kollektive Bild von rebellischen, charismatischen Männern, die Regeln brechen, aber das Herz doch irgendwie am rechten Fleck haben. Wie sangen doch gleich die Jets aus Leonard Bernsteins Westside Story (1957)? We ain’t no delinquents, we’re misunderstood. Deep down inside us there is good! (Mehr dazu hier.)

Aus der Popkultur der 1990er Jahren war der Bad Boy dann nicht mehr wegzudenken und er eroberte ein zunehmend jüngeres Publikum. Kaum eine Teenie-Serie kam ohne ihn aus. Dabei handelte es sich nicht mehr um reine Rebellengestalten oder klassische charmante Schurken, sondern um sensible Außenseiter mit dunkler Vergangenheit, die hinter ihrer Coolness verletzliche Seelen verbargen. Dylan aus Beverly Hills, 90210 (1990-2000) verkörperte den melancholischen Einzelgänger aus zerrüttetem Elternhaus, Jordan in Willkommen im Leben (1994) war ein wandelndes Mysterium in zerschlissenen Flanellhemden und Spike in Buffy – Im Bann der Dämonen (1997-2003) wurde als Vampir mit Gewissensbissen zur Kultfigur. Diese Serien prägten ein neues Bild vom Bad Boy: rebellisch, aber auch tiefgründig, sensibel und oft romantisch überhöht. Sie legten den Grundstein für viele moderne Bad Boys der heutigen Fantasyliteratur, die ähnlich ambivalent angelegt sind.

Der moderne Fantasy Bad Boy

In der aktuellen Fantasyliteratur, vor allem in der Romantacy, hat der Bad Boy längst seinen festen Platz. Da gibt es den gebrochenen Antihelden mit dunkler Vergangenheit, der sich trotz (oder gerade wegen) seiner inneren Narben als tiefgründiger Charakter erweist. Rhysand aus A Court of Thorns and Roses oder Xaden Riorson aus Forth Wing sind typische Beispiele, die ihre Verletzlichkeit hinter Arroganz und Härte verbergen. Nur die jeweiligen Heldinnen – Feyre bzw. Violet – sind in der Lage ihr wahres Ich zu erkennen.

Andere Bad Boys sind tatsächlich skrupellose Machtmenschen, die erst durch die Liebe eine weiche, menschliche Seite entwickeln. Diese Figuren zeigen zunächst kaum Reue oder moralische Hemmungen. Erst die Beziehung zur Heldin zwingt sie, sich zu öffnen oder zu verändern. Holly Blacks Cardan ist der titelgebende Cruel Prince, verwöhnt und grausam. Mit Hilfe der Protagonistin, Jude, macht er schließlich eine Metamorphose durch, die ihn vom Monster zum gerechten Herrscher und loyalen Partner werden lässt.

Und schließlich gibt es auch noch jene Bad Boys, die als Antagonisten der Heldin das Leben schwer machen, aber nicht aus purer Boshaftigkeit, sondern weil sie das Opfer schrecklicher Umstände sind. Der Darkling aus Shadow and Bone von Leigh Bardugo ist so eine tragische Figur, die aus Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe zunehmend der eigenen Macht verfällt. Alina kann ihn nicht retten, aber sie ist die Einzige, die bis zuletzt Mitleid mit ihm empfindet und seine Menschlichkeit sieht. Diese modernen Bad Boys sind vielschichtige Figuren, deren Reiz genau in ihren Widersprüchen liegt. Sie verkörpern die Grauzonen menschlicher Emotionen und laden dazu ein, sie Schicht für Schicht zu entschlüsseln.

Warum sind Bad Boys so beliebt?

Die Faszination für Bad Boys lässt sich sowohl erzählerisch als auch psychologisch erklären. Bad Boys bieten ideale Voraussetzungen für komplexe Plots. Ihre moralische Ambivalenz verleiht Geschichten Tiefe, ihre Wandlung – etwa vom Feind zum Geliebten – liefert den Stoff für fesselnde Enemies-to-Lovers oder Redemption-through-Love Plots. Ihre Unberechenbarkeit sorgt für Spannung, sowohl auf emotionaler als auch auf narrativer Ebene. Hinzu kommt der Reiz, hinter die harte Fassade zu blicken und den „gebrochenen“ Mann zu verstehen.

Die Psychologin Polly Young-Eisendrath argumentiert, dass der Bad Boy Objekt der Begierde und Identifikationsfigur gleichzeitig sein kann. Sie weist darauf hin, dass es Frauen in unserer Gesellschaft oft immer noch schwerfällt, ihre eigenen Wünsche und Ziele direkt zu verfolgen. Stattdessen passen sie sich an, suchen emotionale Anerkennung und orientieren sich daran, wie sie von anderen wahrgenommen werden. Dieses Muster spiegelt sich auch in vielen romantischen Fantasien wider. Der Wunsch nach Kontrolle, Selbstbestimmung oder Stärke wird nicht offen ausgelebt (z.B. als Bad Girl), sondern in die Vorstellung projiziert, für einen unnahbaren Mann so besonders zu sein, dass er sich ihretwegen verändert. Der Weg zur Macht verläuft also oft über Bindung, nicht über Selbstermächtigung. (Mehr dazu hier.)

Fatal Attraction?*

So reizvoll Bad Boys in der Fantasy auch sein mögen, wirft ihre Omnipräsenz in der Fantasyliteratur damit auch Fragen und Probleme auf. Oft werden Verhaltensweisen wie emotionale Manipulation, Besitzdenken oder aggressives Auftreten romantisiert, solange sie mit einer „gebrochenen Seele“ begründet werden. Gerade in romantischen Erzählungen verschwimmen dabei schnell die Grenzen zwischen Leidenschaft und toxischem Verhalten. Wenn ein Charakter nur deshalb als begehrenswert gilt, weil er alle anderen abstößt und nur für die Protagonistin nahbar wird, kann das problematische Beziehungsideale festigen, etwa die Vorstellung, dass Liebe jemanden „retten“ oder „verändern“ kann.

Zudem verstärken viele dieser Figuren klassische Geschlechterklischees. Der Mann als dunkler, dominanter Beschützer, die Frau als einfühlsame Erlöserin. Das reproduziert alte Narrative von weiblicher „Heilungskompetenz“ und männlicher Unnahbarkeit, statt sie zu hinterfragen. In einer vielfältigeren Fantasyliteratur sollten wir daher genau hinschauen: Ist der Bad Boy wirklich eine nuancierte Figur oder doch nur eine romantisch verpackte Red Flag? Und hat die Heldin außer Liebe noch andere Motivationen oder dient sie nur als Werkzeug für die Läuterung des Mannes?

Die gute Nachricht: Immer mehr Autor*innen reflektieren diese Dynamiken bewusst und schaffen Gegenbilder oder differenzierte Varianten, die die alten Tropen neu verhandeln. Moderne Heldinnen sind nicht mehr nur „die Guten“, sondern ebenfalls komplex und verletzlich, manchmal ebenfalls mit dunkler Seite. Im besten Falle nehmen sie Männern die emotionale Arbeit nicht ab, sondern zwingen sie, sich selbst zu verändern. Gelingt ihnen das nicht, fällt das Happy End auch schon mal aus. Und innerhalb der Queer Fantasy ergeben sich nochmal ganz andere Möglichkeiten diesen Archetyp neu zu erfinden.

(*Ein furchtbar sexistischer Film, der deutlich macht, warum es Bad Girls im Film und in der Popkultur im Allgemeinen so viel schwerer haben als Bad Boys.)

Zwischen Dunkelheit und Verlangen

Der Bad Boy bleibt eine der faszinierendsten Figuren der Fantasyliteratur, gerade weil er menschliche Schwächen, innere Konflikte und emotionale Risiken in sich vereint. Er ist verletzlich und gefährlich, anziehend und abschreckend zugleich und damit ein Spiegel unserer eigenen Ambivalenzen. In einer literarischen Welt, in der Gut und Böse selten klar getrennt sind, finden moralisch graue Charaktere besonders viel Raum zur Entfaltung. Fantasy eignet sich daher ideal für solche Figuren, denn sie erlaubt es, persönliche Entwicklungen mit epischen Konflikten zu verweben.

Spannend ist auch, dass sich das klassische Muster zunehmend erweitert: Nicht nur männliche Antihelden dominieren die Bühne, auch Bad Girls mit kantigen Persönlichkeiten, düsteren Geheimnissen oder radikalen Entscheidungen treten verstärkt ins Rampenlicht. Sie eröffnen neue Perspektiven auf Macht, Verletzlichkeit und Erlösung und zeigen, dass die Erzählräume für ambivalente Figuren heute vielfältiger sind denn je.

Welche Bad-Boy-Figur hat dich besonders fasziniert oder genervt? Liebst du Redemption-Arcs oder wünschst du dir mehr Held*innen, die nicht retten, sondern selbst wählen? Schreib mir deine Gedanken in die Kommentare!

 

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